Perspektiven Flüchtig Kartographiert
Jeder Raum beeinflusst, wie wir das darin Klingende wahrnehmen. Mit einer ihm jeweils
spezifischen Akustik akzentuiert er bestimmte Frequenzen und dämpft wiederum andere.
Diese Färbung lässt sich an verschiedenen Hörpositionen unterschiedlich erfahren. In
diesem Stück überlagere ich verschiedene Räumlichkeiten: Einerseits möchte ich die
materielle Realität des Aufführungsortes hervorheben, indem ich ihn akustisch anrege.
Andererseits projiziere ich klangliche Narrationen fiktionaler Szenarien in den konkreten
Konzertraum. Zwischen den architektonischen, den akustischen, den symbolischen und
den imaginierten Räumen entstehen Spannungsverhältnisse, welche das Stück dialektisch
ausmachen. So werden Klang und dessen Wahrnehmung als situiert, kontextualisiert und
Verhältnis verstanden.
Beim Bau eines Aufführungsortes gibt es verschiedene Herangehensweisen, wie mit
einem mitklingenden Raum umgegangen wird. Die Gewichtung zwischen praktischen,
politischen, architektonischen und klangästhetischen Entscheidungen fällt dabei jeweils
unterschiedlich aus. Wie ersichtlich und hörbar sich diese äussern, ist von Fall zu Fall
verschieden und unterliegt nebst den genannten Voraussetzungen oftmals auch einer
Reihe historisch und kulturell bedingter Prozesse der Objektivierung, Vermessung,
Berechnung, Standardisierung und Regulierung des Raumklangs. Diese Entscheidungen
und Prozesse materialisieren sich schliesslich in der Grösse, der Geometrie, den
Baumaterialien und installierten Einrichtungen. In diesem Stück beziehe ich mich direkt auf
die akustische Situation des Aufführungsortes.
Perspektiven Flüchtig Kartographiert hat bereits zwei namenlose Vorläufer: eine 20-
minütige Aufführung im Crawlspace in Den Haag und eine 45-minütige Aufführung im
Rahmen des Echolot Festival im VBL-Depot Luzern. Perspektiven Flüchtig kartographiert
baut auf den dort gesammelten Erfahrungen auf und versucht, diese kompositorisch und
konzeptuell zu reflektieren, weiterzuentwickeln und zu festigen.
In der Vorbereitung auf das Konzert führe ich eine Reihe akustischer Messungen im Raum
durch. Mit einem Mikrophon stecke ich verschiedene Hörpositionen im Publikum ab,
spiele ein Referenzsignal über jeweils einen anderen Lautsprecher ab und messe
Ausschläge im Frequenzspektrum. Diese dienen als Hinweise darauf, wie sich der Raum
zu den unterschiedlichen Konstellationen von Lautsprechern und Mikrophon verhält.
Mit einem in Max/MSP programmierten Instrument spiele ich während dem Konzert die
gemessenen Resonanzfrequenzen über mehrere Lautsprecher in den Raum zurück.
Improvisatorisch taste ich so den Raum akustisch ab und reagiere auf seine Antwort.
Wie Berge und Täler verteilen sich so Druckunterschiede im Raum. Diese entstehen aus
stehenden Wellen, Auslöschungen und Akzentuierungen und sind Frequenzabhängig. Mit
meinem Instrument verschiebe ich diese im Verlauf des Stücks. Bei tieferen Frequenzen
sind die Berge und Täler der stehenden Wellen breiter und länger. Das führt dazu, dass
zum Beispiel der vordere Teil des Publikums diese besonders stark hören, während sie für
den hinteren Teil fast nicht wahrnehmbar sind. Bei engeren stehenden Wellen können die
Druckunterschiede so drastisch sein, dass sogar die kleinste Bewegung des Kopfes das
Gehörte stark verändert, und zum Teil auf beiden Ohren ein unterschiedliches Hörerlebnis
stattfinden kann. So kann ich die Messungen der Raumantwort an den verschiedenen
Hörpositionen verwenden, um den Raum wie ein topographisches Instrument zu spielen,
in dem ich zwischen den Messungen interpoliere, nur ein Teil der Messung verwende, oder
freier mit den gemessen Frequenzen umgehe, sie umkehre, die Balance innerhalb einer
Position verändere, oder sie an einer anderen Position in den Raum zurückspiele. Aus
diesen Verschiebungen ergibt sich die musikalische Form, die untrennbar mit der
Spatialisierung verbunden ist. In einem zyklischen Prozess der Rückbezugnahme wird der
Raum zugleich als Instrument, Material, Kontext und Form gedacht.
Mein Versuch ist es, flüchtige, unvollständige Kartographien des gemeinsam anders
Gehörten entstehen zu lassen. Unter Kartographie verstehe ich hier eine darstellende,
interpretierende Abstraktion von Relationen innerhalb eines Raums. Flüchtig sind diese für
mich insofern, als dass diese räumlichen Zusammenhänge nie im Ganzen, sondern nur
aus einer jeweiligen Perspektive (mit Horizont und Fluchtpunkt) begriffen werden können,
da Raumklang eine lokale Erscheinung ist und dadurch je nach Hörposition
wahrgenommen wird. Ich denke Wahrnehmung somit nicht als Einheitlich, sondern als
strukturell differenzierte Erfahrung, die sich dennoch auf denselben Raum bezieht.
Neben diesem Verweis auf einen konkreten, materiellen Kontext verwende ich Narrationen
imaginierter Szenarien. Mit diesen Fiktionen projiziere ich implizite Räumlichkeiten in den
geteilten Raum. Sie sind klangliche Erzählungen einer verzerrten Wahrnehmung, in der das
Gehörte verschiedenen Prozessen der De- und Rekontextualisierung sowie der
Umdeutung unterworfen ist. In der Bewegung zwischen einem Zeichen und seiner
Verschiebung thematisiere ich auch hier eine Entstellung der Raumwahrnehmung.
Während sich dies in der zuerst beschriebenen Ebene des Stücks vor allem in der
perspektivischen Betonung des Aufführungsorts als konkreter, akustischer Kontext zeigt,
möchte ich mit den fiktionalen Szenarien besonders Identifikation, Signifikation und
Referenzialität im Hören betonen. So beziehen sich die Vertonungen und Spatialisierungen
des Fiktionalen auf eine symbolische und begriffliche Räumlichkeit des Gehörten.
Mit den im Raum verteilten Lautsprechern projiziere und spatialisiere ich diese
Narrationen. Diese diffusen Erinnerungen an ein volatiles Aussen stehen mit ihrem
narrativen Charakter und den vorgestellten Räumlichkeiten im Kontrast zum konkreten
akustischen Verweis. Im Verlauf des gesamten Stücks werden Spannungsverhältnisse
zwischen diesen verschiedenen Räumlichkeiten etabliert. So ergeben sich Bewegungen
durch architektonische, akustische, symbolische und imaginierte Räumlichkeiten,
zwischen denen sich ein Spannungsverhältnis auftut. In der Überlagerung der
verschiedenen Verständnissen von Räumlichkeit erhält der Raum eine Mehrfachfunktion:
Als Partitur, Instrument, Projektionsfläche, Kontext und Bedingung des Gemeinsamen.
Der Raum ist dabei zugleich im akustischen und in der Projektion widerständig und besitzt
eine Eigenlogik, die sich stetig Formalisierungs- und Objektivierungsversuchen entzieht.
So verstehe ich weder Raum & Kontext, noch die Methode, die Mess- und
Wiedergabeinstrumente, oder das Hören selbst als neutral.
Jeder Raum beeinflusst, wie wir das darin Klingende wahrnehmen. Mit einer ihm jeweils
spezifischen Akustik akzentuiert er bestimmte Frequenzen und dämpft wiederum andere.
Diese Färbung lässt sich an verschiedenen Hörpositionen unterschiedlich erfahren. In
diesem Stück überlagere ich verschiedene Räumlichkeiten: Einerseits möchte ich die
materielle Realität des Aufführungsortes hervorheben, indem ich ihn akustisch anrege.
Andererseits projiziere ich klangliche Narrationen fiktionaler Szenarien in den konkreten
Konzertraum. Zwischen den architektonischen, den akustischen, den symbolischen und
den imaginierten Räumen entstehen Spannungsverhältnisse, welche das Stück dialektisch
ausmachen. So werden Klang und dessen Wahrnehmung als situiert, kontextualisiert und
Verhältnis verstanden.
Beim Bau eines Aufführungsortes gibt es verschiedene Herangehensweisen, wie mit
einem mitklingenden Raum umgegangen wird. Die Gewichtung zwischen praktischen,
politischen, architektonischen und klangästhetischen Entscheidungen fällt dabei jeweils
unterschiedlich aus. Wie ersichtlich und hörbar sich diese äussern, ist von Fall zu Fall
verschieden und unterliegt nebst den genannten Voraussetzungen oftmals auch einer
Reihe historisch und kulturell bedingter Prozesse der Objektivierung, Vermessung,
Berechnung, Standardisierung und Regulierung des Raumklangs. Diese Entscheidungen
und Prozesse materialisieren sich schliesslich in der Grösse, der Geometrie, den
Baumaterialien und installierten Einrichtungen. In diesem Stück beziehe ich mich direkt auf
die akustische Situation des Aufführungsortes.
Perspektiven Flüchtig Kartographiert hat bereits zwei namenlose Vorläufer: eine 20-
minütige Aufführung im Crawlspace in Den Haag und eine 45-minütige Aufführung im
Rahmen des Echolot Festival im VBL-Depot Luzern. Perspektiven Flüchtig kartographiert
baut auf den dort gesammelten Erfahrungen auf und versucht, diese kompositorisch und
konzeptuell zu reflektieren, weiterzuentwickeln und zu festigen.
In der Vorbereitung auf das Konzert führe ich eine Reihe akustischer Messungen im Raum
durch. Mit einem Mikrophon stecke ich verschiedene Hörpositionen im Publikum ab,
spiele ein Referenzsignal über jeweils einen anderen Lautsprecher ab und messe
Ausschläge im Frequenzspektrum. Diese dienen als Hinweise darauf, wie sich der Raum
zu den unterschiedlichen Konstellationen von Lautsprechern und Mikrophon verhält.
Mit einem in Max/MSP programmierten Instrument spiele ich während dem Konzert die
gemessenen Resonanzfrequenzen über mehrere Lautsprecher in den Raum zurück.
Improvisatorisch taste ich so den Raum akustisch ab und reagiere auf seine Antwort.
Wie Berge und Täler verteilen sich so Druckunterschiede im Raum. Diese entstehen aus
stehenden Wellen, Auslöschungen und Akzentuierungen und sind Frequenzabhängig. Mit
meinem Instrument verschiebe ich diese im Verlauf des Stücks. Bei tieferen Frequenzen
sind die Berge und Täler der stehenden Wellen breiter und länger. Das führt dazu, dass
zum Beispiel der vordere Teil des Publikums diese besonders stark hören, während sie für
den hinteren Teil fast nicht wahrnehmbar sind. Bei engeren stehenden Wellen können die
Druckunterschiede so drastisch sein, dass sogar die kleinste Bewegung des Kopfes das
Gehörte stark verändert, und zum Teil auf beiden Ohren ein unterschiedliches Hörerlebnis
stattfinden kann. So kann ich die Messungen der Raumantwort an den verschiedenen
Hörpositionen verwenden, um den Raum wie ein topographisches Instrument zu spielen,
in dem ich zwischen den Messungen interpoliere, nur ein Teil der Messung verwende, oder
freier mit den gemessen Frequenzen umgehe, sie umkehre, die Balance innerhalb einer
Position verändere, oder sie an einer anderen Position in den Raum zurückspiele. Aus
diesen Verschiebungen ergibt sich die musikalische Form, die untrennbar mit der
Spatialisierung verbunden ist. In einem zyklischen Prozess der Rückbezugnahme wird der
Raum zugleich als Instrument, Material, Kontext und Form gedacht.
Mein Versuch ist es, flüchtige, unvollständige Kartographien des gemeinsam anders
Gehörten entstehen zu lassen. Unter Kartographie verstehe ich hier eine darstellende,
interpretierende Abstraktion von Relationen innerhalb eines Raums. Flüchtig sind diese für
mich insofern, als dass diese räumlichen Zusammenhänge nie im Ganzen, sondern nur
aus einer jeweiligen Perspektive (mit Horizont und Fluchtpunkt) begriffen werden können,
da Raumklang eine lokale Erscheinung ist und dadurch je nach Hörposition
wahrgenommen wird. Ich denke Wahrnehmung somit nicht als Einheitlich, sondern als
strukturell differenzierte Erfahrung, die sich dennoch auf denselben Raum bezieht.
Neben diesem Verweis auf einen konkreten, materiellen Kontext verwende ich Narrationen
imaginierter Szenarien. Mit diesen Fiktionen projiziere ich implizite Räumlichkeiten in den
geteilten Raum. Sie sind klangliche Erzählungen einer verzerrten Wahrnehmung, in der das
Gehörte verschiedenen Prozessen der De- und Rekontextualisierung sowie der
Umdeutung unterworfen ist. In der Bewegung zwischen einem Zeichen und seiner
Verschiebung thematisiere ich auch hier eine Entstellung der Raumwahrnehmung.
Während sich dies in der zuerst beschriebenen Ebene des Stücks vor allem in der
perspektivischen Betonung des Aufführungsorts als konkreter, akustischer Kontext zeigt,
möchte ich mit den fiktionalen Szenarien besonders Identifikation, Signifikation und
Referenzialität im Hören betonen. So beziehen sich die Vertonungen und Spatialisierungen
des Fiktionalen auf eine symbolische und begriffliche Räumlichkeit des Gehörten.
Mit den im Raum verteilten Lautsprechern projiziere und spatialisiere ich diese
Narrationen. Diese diffusen Erinnerungen an ein volatiles Aussen stehen mit ihrem
narrativen Charakter und den vorgestellten Räumlichkeiten im Kontrast zum konkreten
akustischen Verweis. Im Verlauf des gesamten Stücks werden Spannungsverhältnisse
zwischen diesen verschiedenen Räumlichkeiten etabliert. So ergeben sich Bewegungen
durch architektonische, akustische, symbolische und imaginierte Räumlichkeiten,
zwischen denen sich ein Spannungsverhältnis auftut. In der Überlagerung der
verschiedenen Verständnissen von Räumlichkeit erhält der Raum eine Mehrfachfunktion:
Als Partitur, Instrument, Projektionsfläche, Kontext und Bedingung des Gemeinsamen.
Der Raum ist dabei zugleich im akustischen und in der Projektion widerständig und besitzt
eine Eigenlogik, die sich stetig Formalisierungs- und Objektivierungsversuchen entzieht.
So verstehe ich weder Raum & Kontext, noch die Methode, die Mess- und
Wiedergabeinstrumente, oder das Hören selbst als neutral.